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Expertentagung des BMJV zur Zukunft der Mediation – 28.05.2021

Nachdem die ursprünglich vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) für den 22. Juni 2020 in Berlin geplante Mediationskonferenz „Stärkung der Mediation: Qualitäts- und Reputationssteigerung durch mehr staatliche Regulierung?“ aufgrund der Corona-Regelungen nicht im analogen Modus durchgeführt werden konnte, lädt das BMJV nun zu einer entsprechenden Online-Expertentagung am 28.05.2021 ein. Das BMJV will mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Verbänden, Wissenschaft, Ländern, Anwaltschaft und Justiz die gegenwärtige Lage und die Zukunft der Mediation in Deutschland diskutieren. Zunächst geht es um eine umfassende Bestandsaufnahme, bei der sämtliche für die Entwicklung der Mediation maßgeblichen Einflussfaktoren untersucht und diskutiert werden sollen. In zwei weiteren Themenblöcken wird dann explizit der rechtliche Regulierungsrahmen in den Blick genommen: Bedürfen die Ausbildung und die Zertifizierung von Mediatorinnen und Mediatoren der staatlichen Steuerung? Wie steht es um die Einbettung der Mediation in das bestehende Rechtsschutzsystem?

Neben der Eröffnung durch Frau Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Christine Lambrecht, MdB, werden in Eingangsstatements und Vorträgen von namhaften Vertreter*innen aus Wissenschaft und Praxis wird es im Rahmen von Podiumsdiskussionen auch für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz die Gelegenheit geben, sich aktiv einzubringen und ihrer Ansicht Gehör zu verschaffen.  Als einer Experten wurde auch der Leiter des SIMK, Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A., eingetragener Mediator (BMJ, Wien; NMAS, Aus.) und BMWA-Lehrtrainer, eingeladen, insb. zur Frage der Integration der Mediation in das bestehende Rechtsschutzsystem Stellung zu nehmen.

Das detaillierte Programm BMJV Mediationskonferenz-2021 können Sie sich hier und  hier herunterladen. Zum Statement von Prof. Trenczek → „Autonomie und Freiwilligkeit (in) vs Vorrang, Verpflichtung und Anordnung der Mediation„.

Es wird um Verständnis dafür gebeten, dass die vorhandenen Kapazitäten nur eine Anmeldung je Organisation zulassen.

Roland Rechtsreport 2021 dokumentiert hohe Bekanntheit von ADR

Seit 2010 wird mit dem ROLAND Rechtsreport jährlich die öffentliche Meinung zum deutschen Rechtssystem und zu ausgewählten rechtspolitischen Schwerpunktthemen ermittelt. Einer der Schwerpunkte dieser Untersuchung waren erneut die Langzeitanalyse des Vertrauens in wichtige gesellschaftliche und staatliche Institutionen, die grundsätzlichen Einstellungen der Bevölkerung zum deutschen Rechtssystem sowie die Bekanntheit und Einstellungen der Bevölkerung zur außergerichtlichen Streitbeilegung

Der neue ROLAND RECHTSREPORT 2021 unterstreicht wieder die mittlerweile hohe Bekanntheit und Bedeutungder außergerichtlichen Streitbeilegung: 86 % der Bevölkerung haben davon gehört, dass ein Konflikt auch außergerichtlich, etwa durch eine Mediation oder Schlichtung, gelöst werden kann. Erwartungsgemäß ist die Konfliktbeilegung ohne Beteiligung eines Gerichts in höheren Bildungsschichten bekannter als in einfachen Bildungsschichten. So kennen 91 %  der Personen mit höherer Schulbildung die Möglichkeit der außergerichtlichen Streitbeilegung, von Personen mit einfachem Schulabschluss sind es 79 %.  Die befragten Personen bewerten die Erfolgschancen der außergerichtlichen Streitbeilegung überwiegend positiv. 52 % sind überzeugt, dass sich mit einem solchen Verfahren viele Streitigkeiten beilegen lassen, nur 31 % sind skeptisch. Im Vergleich zu den Vorjahren werden die Erfolgschancen einer außergerichtlichen Einigung weitgehend stabil positiv bewertet.

Kritisch angemerkt werden muss im Hinblick auf die Ergebnisse, dass die Befragung die sehr unterschiedlichen Verfahrensarten undifferenziert in der Sammelkategorie „außergerichtliche Streiterledigungsverfahren“ zusammenfasst und deshalb nicht nur im Hinblick auf diese Verfahren wenig aussagekräftig ist, sondern indirekt wohl auch mit dazu beiträgt, dass deren Unterschiede, z.B. zwischen dem → Mediationsverfahren und einer → Schlichtung, in der Öffentlichkeit nicht hinreichend kommuniziert und immer wieder verwechselt werden.

Quelle: Roland Rechtsschutzversicherung (15.04.2021)

 

IHK-Konfliktnavigator

Koordiniert durch den Deutschen Industrie- und Handelskammertag e.V. haben die deutschen IHKs einen neuen „Konfliktnavigator“ online gestellt, der insb. mittelständischen Mitgliedsunternehmen, aber auch deren Mitarbeiter*innen und Kunden, einen schnellen, einfachen Zugang insb. zu sog. „alternativen“, außergerichtlichen und insb. konsensualen Formen der Streiterledigungsverfahren (sog. ADR, s. Glossar) eröffnen soll. Unter der Rubrik/Kachel „Konflikt lösen“ werden die Nutzer durch einen, im Hinblick auf die rechtlichen Möglichkeiten stark vereinfachten sog. „Entscheidungsbaum“ geleitet, der Konfliktparteien eine erste Einschätzung über die geeigneten Verfahrensarten ermöglicht. Angesprochen werden hierbei  allerdings nur Konflikte,

  • an dem Unternehmen oder eine öffentliche Stelle beteiligt sind (b2b);
  • an dem ein Unternehmen und ein Verbraucher involviert ist (b2c);
  • im Arbeitsrecht bzw. zwischen Gesellschaftern oder auf Ebene der Geschäftsleitung eines Unternehmens.

Gleichwohl kann das Programm Unternehmen und Personen, die bislang noch nicht viel über ADR wissen, eine erste Entscheidungshilfe geben. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass sich in die Darstellung (in der Version Anfang April 2021) nicht zuletzt wegen der starken Vereinfachung der Entscheidungsmöglichkeiten einige Ungenauigkeiten eingeschlichen haben. So werden die Unterschiede zwischen Schlichtungs- und Mediationsverfahren nicht hinreichend erläutert sowie die Begriffe „Rechtsverbindlichkeit“ und „unmittelbare Vollstreckbarkeit“ verwechselt bzw. nicht hinreichend zwischen den sog. Dritt-Entscheidungsverfahren und Mediationsverfahren unterschieden. Insb. ist darauf hinzuweisen, dass auch das Mediationsverfahren (anders als im Konfliktnavigator formuliert) im Einigungsfall zu vertraglichen und damit rechtsverbindlichen Regelungen führt.

Prof. Trenczek ist bei der IHK Hannover und der HK Hamburg als Mediator gelistet.

(Quelle: DIHK | Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V.  10.04.2021)

Änderung der Zertifizierte-Mediatoren-Ausbildungsverordnung

Die Erste Verordnung zur Änderung der Zertifizierte-Mediatoren-Ausbildungsverordnung v. 30. Juli 2020 (BGBl I S. 1869) ist rückwirkend zum 1. März 2020 in Kraft getreten.

Aus der Begründung zum Referentenentwurf der Bundesregierung:

Die Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren (Zertifizierte-Mediatoren-Ausbildungsverordnung – ZMediatAusbV) legt fest, innerhalb welcher Fristen bestimmte Aus- und Fortbildungsmaßnahmen wie eine erste praktische Mediation, Einzelsupervisionen und Fortbildungen durchzuführen sind, damit Betroffene die Bezeichnung „zertifizierte Mediatorin“ bzw. „zertifizierter Mediator“ führen dürfen. Sie enthält jedoch keine Regelung für den Fall, dass die Fristen nicht eingehalten werden können. Im Falle eines unverschuldeten Fristversäumnisses kann dies zu unbilligen Folgen führen. Denn die Aus- und Fortbildung ist mit erheblichen zeitlichen und finanziellen Belastungen für die Betroffenen verbunden. Es ist daher geboten, Betroffenen in bestimmten Ausnahmefällen einen zeitlichen Aufschub für die Durchführung der geforderten ersten Mediation, der notwendigen Einzelsupervisionen oder für die Absolvierung ihrer Fortbildungsveranstaltungen zu gewähren.

Über die neuen Regelungen (insb. zur Fristhemmung) finden Sie eine übersichtliche Darstellung auf der News-Seite der Centrale für Mediation [abgerufen am 27.08.2020] sowie einen Beitrag von Dr. Larissa Thole in der ZKM 4/2020, 139 f.

Quellen: Internetseite des BMJV [abgerufen 2.8.2020];
Centrale für Mediation v. 25.08.2020]

 

EuGH sichert freie Anwaltswahl im Mediationsverfahren

Rechtsschutzversicherte können ihr Recht auf freie Anwaltswahl auch dann ausüben, wenn sie sich für eine gerichtliche oder außergerichtliche Mediation entscheiden. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf Vorlage eines belgischen Gerichts entschieden.
Die Vorlagefrage beschäftigte sich mit der Auslegung des in Art. 201 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2009/138/EG betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit. Im Wesentlichen ging es um den in der Vorschrift enthaltenen Begriff „Gerichts- oder Verwaltungsverfahren“, nach dem es dem Versicherten freisteht, einen Rechtsanwalt zu wählen. Das belgische Recht sah vor, dass einem Rechtsschutzversicherten das Recht auf freie Anwaltswahl bei einer Mediation im Unterschied zu einem Schiedsverfahren verwehrt war.Der EuGH legt den Begriff „Gerichtsverfahren“ weit aus. Umfasst sind danach auch gerichtliche oder außergerichtliche Mediationsverfahren, wenn ein Gericht beteiligt ist oder werden kann, sei es bei der Einleitung oder nach Abschluss dieses Verfahrens. Schließlich sei es inkohärent, wenn das Unionsrecht die Anwendung alternativer Streitbeilegungsmethoden fördere und gleichzeitig die Rechte der Einzelnen einschränkte, indem keine freie Anwaltswahl gewährt werde.

Diese Auslegung des EuGH bleibt im Ergebnis gleichwohl deutlich hinter derjenigen des Generalanwalts zurück, der sich dafür ausgesprochen hatte, den Begriff „Gerichtsverfahren“ in der entsprechenden EU-Verordnung so auszulegen, dass er auch ein außergerichtliches Vermittlungsverfahren umfasst, und zwar unabhängig davon, ob auch schon ein Gericht mit der Streitsache befasst ist.

Quellen:
Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.05.2020 16:37
EuGH, Urteil vom 14.5.2020, Rs. C-667/18

Covid-19-Krise – Ein Lehrstück über den Rechtsstaat und das Verfassungsrecht (auch für Mediator*innen)

Inhalt:

Covid-19-Krise – Ein Lehrstück über den Rechtsstaat und das Verfassungsrecht (auch für Mediator*innen)

Die Covid-19-Pandemie ist eine der größten Herausforderungen auf dieser Erde seit dem Ende des zweiten Weltkrieges. Sie bedeutet neben den gesundheitlichen Gefahren und Folgen überall auf der Welt und auch in Deutschland einen immensen Einschnitt in unser öffentliches, wirtschaftliches und soziales Leben. Da müssen wir erst einmal alle gemeinsam durch. Das Krisenmanagement im Föderalismus der Bundesrepublik Deutschland funktioniert über Erwarten positiv (wenn auch nicht optimal im noch nicht vereinten Europa oder gar der Welt mit weiterhin ausgeprägten nationalen Egoismen), auch wenn wir alle auf Sicht fahren müssen und diese krisenbedingt nicht all zu klar ist. Auch wenn wir wohl noch nicht so schnell wieder zur Normalität zurückfinden (können) werden, irgendwann werden wir dank eines rationalen Krisenmanagements und des immensen Engagements der vieler Helfer*innen und Engagierten die Virus-Krise als solche überstanden haben – die gesellschaftlichen, politischen und (verfassungs-/europa-)rechtlichen Auswirkungen sind freilich kaum abzuschätzen.

Die Covid-19 Pandemie hat gezeigt, wie global verflochten, aber auch (ungeachtet der nationalen Egoismen) wie verletzbar diese Welt ist. Nun wird wohl allen deutlich, wie wichtig öffentlich-rechtliche und gemeinnützige Strukturen nicht nur im Gesundheitswesen sind. In mehreren Veröffentlichungen (vgl. insb. Streitregelung in der Zivilgesellschaft; Zeitschrift für Rechtssoziologie, Bd. 26, Dez. 2005, S. 3 ff.; sowie Recht und Mediation, Kap. 4.1 in Handbuch Mediation und Konfliktmanagement, 2017) habe ich ungeachtet meiner Nähe zu und Vorliebe für ADR und Mediation stets für einen effektiven, demokratischen Rechtsstaat geworben: ADR im Lichte des Rechts (nicht in dessen von manchen als negativ charakterisierten Schatten)! Es zeigt sich wieder einmal, dass nur der demokratische Rechtsstaat unterstützt durch eine engagierte Zivilgesellschaft eine Krise dieses Ausmaßes unter Achtung der Bürger- und Menschenrechte meistern kann.

Es ist zunächst beruhigend zu wissen, dass der Staat nach dem deutschen Grundgesetz (Art. 1, 2, …GG) verfassungsrechtlich verpflichtet ist, Leben, Gesundheit, Freiheit sowie die Grundrechte seiner Bürger*innen zu schützen und dies nicht nur in Krisen- und Katastrophenzeiten. Freilich hat dies stets im Rahmen der vom Gesetz definierten Grenzen zu erfolgen (sog. Gesetzesvorbehalt und -vorrang), insb. im Rahmen der Gefahrenabwehr nach den Polizeigesetzen der Länder oder auch dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) sowie im Rahmen der Strafverfolgung (StGB, StPO, …). Der Staat – sei es über die Polizei-, die Gesundheits- sowie andere Gefahrenabwehrbehörden – ist zur Erfüllung dieser Aufgabe mit höchst effektiven Mitteln ausgestattet. Die sog. polizeirechtlichen Generalklauseln (z.B. Art. 11 BayPAG; § 8 PolG NRW, § 11 NdsSOG; § 12 ThürPAG; aber auch §§ 16 ff. IfSG) erlauben den Gefahrenabwehrbehörden allerdings nicht alle (insb. grundrechtsrelevanten) Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zumal stets das Verhältnismäßigkeitsgebot zu beachten ist (z.B. Art. 4 BayPAG; § 2 PolG NRW; § 4 NdsSOG; § 4 ThürPAG). Hoch umstritten sind insb. vorbeugende Maßnahmen im sog. „Vorfeld der Gefahrenabwehr“ (vgl. § 1 PolG NRW). Besonders gesetzlich geregelt sein müssen jedenfalls Maßnahmen, die in grundrechtlich geschützte Bereiche der Bürger*innen eingreifen (z.B. Datenerhebung-, -speicherung und -weitergabe, Haus- und Wohnungsdurchsuchung, …). Die Notwendigkeit für spezifische, sog. „bereichsspezifische“ Regelungen hat das BVerfG u.a. im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wiederholt betont. Im Hinblick auf den Gesundheitsschutz sind besondere Schutzmaßnahmen (insb. Beobachtung, Quarantäne, Orts-, Betretungs- und Aufenthalts-, Veranstaltungs- und Ansammlungsverbot, berufliches Tätigkeitsverbot) in §§ 28 ff. IfSG normiert.

Die Frage, ob Ausgangssperren und welche sonstigen staatlichen Maßnahmen in Krisenzeiten rechtmäßig sind, eignet sich geradezu zu einem Lehrstück des Verfassungsrechts. Fragen, welche grundlegende Aspekte des Föderalismus und des Rechtsstaatsprinzips (Gewaltenteilung, Gesetzesvorbehalt, Grundrechte, Verhältnismäßigkeit, …) betreffen, mit denen sich aber nicht nur Verfassungsrechtler* und andere Jurist*innen beschäftigen sollten, sondern auch aufgeklärte Bürger*innen vertraut sein sollten. Für alle, die das noch nicht sind, empfehle ich neben den „Grundzügen des Rechts“ (2018) die kurze Erläuterung der ARD-Rechtsredaktion in der Tagesschau vom 20.03.2020 , in der insb. der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts und das Verhältnismäßigkeitsgebot erklärt werden. Ergänzend sei der Kommentar von Heribert Prantl in der SZ vom 20./21.03.2020 angeraten, in dem die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgebots unterstrichen wird: Auch die Not kennt ein (Verhältnismäßigkeits‑)Gebot.

Dabei stehen Rechtsstaatsprinzip, insb. das Verhältnismäßigkeitsgebot, und wissenschaftliche Vernunft nicht im Gegensatz: Dem Virologen Christian Drosten zufolge (vgl. Tagesschau vom 22.03.2020) gibt es (noch) „keine wissenschaftlichen Daten, die sagen, dass man eine Ausgangssperre braucht“ und sprach von „Anfangsdaten zu all diesen Maßnahmen, aber am Ende sind all diese Dinge politische Entscheidungen“. Sein Kollege Alexander Kekulé meint, eine „bundesweite Ausgangssperre wäre epidemiologisch unbegründet, wirtschaftlich desaströs und eine soziale Katastrophe“. Es gebe „weniger einschneidende, aber genauso wirksame Mittel“. Vor allem sei es „nicht richtig, dass westliche Demokratien sich das Verfahren eines totalitären Staates zu eigen machen, sondern wir brauchen eine eigene, demokratische, westliche Herangehensweise an dieses Problem“. Wissenschaftlichkeit und rationales politisches Entscheiden gehören untrennbar zusammen – eine Erkenntnis die leider in Sachen Klimaschutz seit Jahrzehnten missachtet wird (vgl.  Scientist for Future).

Notwendig ist ein konstanter, auf empirische Fakten basierender, sorgfältiger Abwägungsprozess konfligierender Grundrechtspositionen im Sinne einer sog. praktischen Konkordanz. Es geht dabei letztlich immer um eine konkrete Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Sind die Maßnahmen geeignet, das angestrebte Ziel zu erreichen? Sind im Vergleich mehrerer geeigneter Mittel die schwereren (noch) wirklich zwingend erforderlich? Und schließlich darf nach der 3. Stufe des Verhältnismäßigkeitsgebots (Angemessenheit) der Nachteil, der durch eine geeignete und an sich erforderliche Intervention entsteht, nicht erkennbar in grobem Missverhältnis zu dem angestrebten und erreichbaren Erfolg stehen. Die Grenzen staatlicher Handlungen sind durch eine gründliche und besonnene Abwägung der verschiedenen (Grund-)Rechtspositionen, der mitunter sich widersprechenden Interessen der Betroffenen und des Gemeinwesens zu ermitteln. Das Ergebnis dieser Abwägung kann sich auch über die Zeit hin ändern. Je länger die Grundrechte-einschränkenden Maßnahmen dauern, desto genauer wird man bzw. die Gerichte hinschauen müssen, desto enger wird der Legitimationsspielraum. Schlichte, einfache Antworten kann und darf es dabei nicht geben, auch wenn Populisten und Autokraten sich die Unsicherheit und Angst, Nichtinformiertheit und (leider auch) Ignoranz in Teilen der Bevölkerung sowie die Hoffnung auf gute Nachrichten zu nutzen machen wollen.

Gerade in Krisenzeichen sind Rationalität und Besonnenheit, mithin das Rechtsstaatsgebot unverzichtbar. Das werden wir vor allem auch nach der Überwindung der Corona-Notlage merken. Gerade in Krisenzeiten ist es auch – gerade auch für Mediator*innen – wichtig, Flagge und Engagement für den Rechtsstaat zu zeigen, um dem Ruf nach einer „starken Führung“, mehr „Durchgriffsrechten“ und stärkeren (nicht dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechenden) Einschränkung von Bürgerrechten sowie nach Abschaffung des Föderalismus oder anderen populistischen Forderungen etwas Rationalität entgegenzusetzen. Die Situation in Deutschland und den meisten europäischen Ländern ist mit der in Ungarn, Polen und gar China und Russland sowie anderen undemokratischen, autokratischen Regime nicht vergleichbar. In Deutschland und Europa darf sich aber insoweit kein Zentimeter zum Schlechteren wenden. Freilich ist der handlungsfähige Rechtsstaat nichts ohne Mitmenschlichkeit und Solidarität – nicht nur in der Familie, unter Freunden und Kollegen, der Nachbarschaft, in unserer Gesellschaft in Deutschland, sondern auch in Europa und der Welt.

 

Nachtrag/Update (30.03.2020): Föderalismus in Zeiten von Corona

Vielen Dank für die konstruktiven Rückmeldungen. Ich freue mich, dass Sie meine Stellungnahme mit Interesse gelesen haben und sich offenbar für das Verfassungsrecht interessieren. Einige der Rückmeldungen lassen eine Sorge erkennen, dass das Krisenmanagement in Deutschland nicht hinreichend funktioniere, insb. weil die Bundesländer bzw. die Landkreise und Städte unterschiedliche Regelungen und Anordnungen treffen.

Inhaltlich teile ich diese Sorgen oder Bedenken nicht, denn verfassungsrechtlich wie im Hinblick auf den Gesundheitsschutz kann und muss es ggf. möglich sein, dass Landkreise/kreisfreie Städte mitunter unterschiedliche Verfügungen erlassen. Auch wenn Krisenzeiten gemeinhin als „Stunde der Exekutive“ gelten, Föderalismus (vgl. Grundzüge des Rechts 2018, 167 ff.) heißt nicht, dass jede/r MP, OB oder Landrätin machen kann, was sie/er will. Auch für diese gilt das Gesetzlichkeitsprinzip (Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes) und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; auch in den Ländern gibt es Parlamente, die für die Legislative verantwortlich sind. In der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland haben die 16 Bundesländer ihre Staatlichkeit als Gebietskörperschaft behalten, auch wenn sie gleichzeitig zu einem gemeinsamen Staat auf Bundesebene verbunden sind. Aber eben nicht zu einem Zentralstaat wie z.B. in den Niederlanden oder Frankreich mit ihren nicht-staatlichen Provinzen bzw. Départements. Nach dem Grundgesetz sind die Staatsgewalten (Gesetzgebung, Exekutive und Rechtsprechung) und damit auch die Verwaltungsaufgaben zwischen Bund und Ländern aufgeteilt (vgl. Art. 30, Art. 70 ff., Art. 83 ff. GG), wobei Art. 30 GG den Ländern grundsätzlich den Vorrang einräumt.

Es muss aber auch in den ihnen, den Ländern obliegenden Verantwortungsbereichen nicht alles einheitlich geregelt werden. Wie das Krisenforschungsinstitut der Universität Kiel dokumentiert, funktioniert Krisenmanagement zumeist am besten dezentral, weil vor Ort klarer ist, wie die Bedingungen sind und was konkret geeignet ist und benötigt wird (vgl. Deutschlandfunk v. 24.03.2020): Man sei dadurch näher an den Menschen dran. Landräte und Oberbürgermeister könnten besser und schneller über die Situation und Besonderheiten vor Ort entscheiden. Das schließt selbstverständlich eine bundesweite/nationale Kooperation und Koordination in bestimmten Gebieten (z.B. zentrale Beschaffung und Verteilung von lebenswichtigen und systemrelevanten Gütern) nicht aus.

Abgesehen davon funktioniert die Kooperation zwischen den Bundesländern weitgehend gut, auch wenn manche Länder (idR Bayern, dort ist es ohnehin am schönsten) sich mitunter an Absprachen nicht zu halten scheinen. Aber auch innerhalb eines Landes, in den Kommunen muss nicht immer alles einheitlich („gleich“) geregelt werden. Vielmehr fordert und erlaubt das Föderalismusprinzip wie das Rechtsstaatsprinzip durchaus regional unterschiedliche, angemessene Regelungen/Entscheidungen –  wenn diese sachlich und rechtlich gerechtfertigt sind.

Auch nach dem sog. Gleichheitsgebot des GG (Grundzüge des Rechts 2018, 106 ff.) muss, ja darf nicht alles gleichbehandelt werden, denn nach Art. 3 GG muss Gleiches gleich, aber Ungleiches muss grds. unterschiedlich behandelt werden. Sachverhalte, die im Wesentlichen gleich sind, müssen die gleichen Rechtsfolgen nach sich ziehen. Unterscheiden sich Sachverhalte in wesentlichen Punkten, so müssen unterschiedliche Entscheidungen / Verwaltungshandlungen folgen. Der Gleichheitsgrundsatz verbietet der Verwaltung jedes willkürliche Verhalten, d. h. nicht nur die – nicht durch sachliche Unterschiede gerechtfertigte – Ungleichbehandlung gleicher, sondern auch die – nicht durch zulässige sachliche Gründe begründete – Gleichbehandlung ungleicher Tatbestände.

Notwendig ist also stets ein konstanter, auf empirischen Fakten basierender, sorgfältiger Abwägungsprozess konfligierender Grundrechtspositionen im Sinne einer sog. praktischen Konkordanz (s.o.). Letztlich geht es damit immer um eine konkrete Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: Geignetheit – Erforderlichkeit – Angemessenheit (s.o.) und dies stets basierend auf emprisch nachprüfbaren Daten und Fakten – und es bleibt freilich immer eine politische, rechtsstaatlich überprüfbare Entscheidung. Reichweite und Grenzen aller staatlich verfügter Maßnahmen müssen durch eine sorgfältige Abwägung der verschiedenen (Grund-)Rechtspositionen und der sich mitunter widersprechenden Interessen der Betroffenen und des Gemeinwesens bestimmt werden. Das kann in einem Bundesland, in einem Landkreis etc. basierend auf unterschiedliche Sachverhalte anders sein als in einem anderen. Nochmals: schlichte, einfache Antworten kann und darf es dabei nicht geben.

In Krisenzeiten geht mitunter der Blick hierfür verloren, auch für den Sinn und Wert des Föderalismusprinzips. Die damit verbundene sog. vertikale Gewaltenteilung ist auch ein Ergebnis der historischen Entwicklung und Verantwortung von Deutschland und ein Garant für den relativen Frieden nach Innen und Außen sowie die demokratische Entwicklung seit Ende des 2. Weltkrieges. Wie brüchig die Demokratie in Europa ist, zeigen die Entwicklungen in Polen und Ungarn – dort ist die Fratze der Autokratie und des Unrechtsstaates wieder sichtbar. Von China und Russland einmal ganz abgesehen. Die föderale Struktur ist deshalb kein Hindernis, sondern Garant für ein demokratisches Krisenmanagement. Eine solche wäre auch in einem vereinten Europa der Regionen möglich und sinnvoll, um die nationalen Egoismen zu überwinden. Die zentrale Bedeutung des Nationalstaats und die selektive Wirkung des Konzepts der Staatsangehörigkeit verhindert nicht nur ein hinreichend abgestimmtes europäisches Krisenmanagement, sondern die umfassende Anerkennung und Wirkung der Bürger- und Menschenrechte.

Was ist uns (die Welt oder doch zumindest) Europa wert? Insoweit erneuere ich gerne auch an dieser Stelle meinen Hinweis auf die Bewegung Pulse of Europe sowie den im Zusammenhang mit der sog. Migrationsdebatte im Jahr 2015 formulierten Aufruf Against fear, hate and racism – For a Europe of the people and the human rights – Für ein Europa der Menschen und der Menschenrechte! 

 

Links für Rechtsstaatlichkeit

UN-Übereinkommen über durch Mediation erzielte internationale Vergleichsvereinbarungen

Das UNCITRAL-Übereinkommen über durch Mediation erzielte internationale Vergleichsvereinbarungen (United Nations Convention on International Settlement Agreements Resulting from Mediation ) für internationale Handelsstreitigkeiten [vielfach nur als sog. „Singapur-Übereinkommen“ bezeichnet, da dessen Zeichnung in Singapur auslag] ist am 12. 09,2020 in Kraft getreten. Es ermöglicht die Anerkennung und Vollstreckung von weltweit erzielten Mediationsergebnissen in den jeweiligen Vertragsstaaten und bietet damit eine Alternative zur (mittlerweile immer stärker formalisierten und vor allem überteuerten) Schiedsgerichtsbarkeit. Möglich ist das aber nur in den Unterzeichnerstaaten, derzeit Singapur, Fidschi, Katar, demnächst (ab 05.11.2020) Saudi-Arabien, (ab 15.01.2021) Weißrussland und (ab 09.03.2021) Ecuador. Darüber hinaus steht in 47 weiteren Vertragsstaaten die Ratifizierung des Singapur-Übereinkommens noch aus. Deutschland und die EU-Staaten haben sich bislang nicht daran beteiligt. Während in Asien das „Singapur Übereinkommen“ z.T. überschwänglich begrüßt wird, scheint in der EU eine deutliche Zurückhaltung vorzuliegen – was angesichts des Demokratie- und Rechtsstaatsdefizit einiger Vertragsstaaten einerseits und der im internationalen Vergleich relativ hohen Effektivität der Rechtspflege in Deutschland und Europa nicht verwundert. Notwendig erscheint ein solches Übereinkommen auch nur, wenn es auf die Vollstreckbarkeit von Ergebnissen aus den (internationalen) Mediationsverfahren ankommt. Dabei wird die Frage der Vollstreckbarkeit von Mediationsergebnissen international weit stärker diskutiert als in Deutschland und im europäischen Raum, nicht zuletzt aufgrund eines sehr weiten (angelsächsisch geprägten) Mediationsbegriffs bzw. in der asiatisch Praxis vorherrschenden Verständnisses, welche/r  auch „evaluative“ Vermittlungsverfahren umfassen („evaluative mediation“ – aus europäischer Sicht ein Oxymoron, also ein Widerspruch in sich; hierzu u.a. Trenczek Kap. 1.1.3.3 im Handbuch Mediation und Konfliktmanagement 2017). Im Hinblick auf ein Interessen-basiertes Mediationsverfahren, so wie in deutschen Mediationsgesetz definiert, mag die Vollstreckbarkeit insb. bei mangelnder Mediationserfahrung vor Beginn eines Mediationsverfahrens manchmal eine Rolle spielen, verliert allerdings im weiteren Verfahren zumeist völlig an Bedeutung. Nichts desto trotz lohnt es sich auch für deutsche Unternehmen, die im internationalen Wirtschaftsraum tätig sind, sich mit dem  UNCITRAL-Übereinkommen zu beschäftigen. Das UNCITRAL-Abkommen können Sie von unserer Seite „Arbeitshilfen“ herunterladen. Einführende Beiträge über das Singapur-Übereinkommens finden Sie u.a. in der Zeitschrift für Konfliktmanagement (ZKM)

  • Alexander, N.: UN-Übereinkommen zur internationalen Durchsetzung von Mediationsvergleichen; ZKM 5/2019, 160 ff. sowie demnächst
  • Heetkamp, S.: Singapur-Übereinkommen in Kraft getreten, ZKM 5/2020, 168 ff.

(SIMK 15.03.2020, aktualisiert 21.10.2020)