ADR-News

(Aktuelle Informationen zu Mediation und Konfliktmanagement)

Autonomie und Freiwilligkeit (in) vs Vorrang, Verpflichtung und Anordnung der Mediation

Statement zum Forum 3 „Empfehlen sich Regelungen zur Integration der Mediation in das bestehende Rechtsschutzsystem?“ auf der Mediationskonferenz des BMJV am 28.05.2021 –  → Download

Prof. Dr. iur. Thomas Trenczek, M.A.

In Deutschland mangelt es immer noch an einer über die verbale Unterstützung hinausreichende, tatsächliche Förderung der Mediation. Insbesondere fehlt es an einem niedrigschwelligen Zugang zu einem qualitativ hochwertigen außergerichtlichen Mediationsverfahren. Auch die bislang in § 278a ZPO geregelten Verweisungsmöglichkeiten scheinen in der Praxis nicht genutzt zu werden.

Ich begrüße die von Prof. Greger gemachten Vorschläge zur Förderung der Mediation für eine gerichtsunabhängige Mediationskostenhilfe[1], diese sollte aber nicht nur auf Familienverfahren begrenzt sein. Darüber könnte ein (fachlichen Mindeststandards entsprechende!) Mediationsverfahren als Alternative/Option zur streitigen Konfliktbearbeitung durch weitere ökonomische Anreize/Kostenregelungen (über § 81 Abs. 2 Nr. 5 FamFG hinaus) gefördert werden.

Zudem sollte man m.E. zumindest im Hinblick auf besonders schützenswerte Interessen zum Beispiel in familiengerichtlichen Streitsachen (zB Kindeswohl bei Trennung der Eltern) aber auch in anderen Konflikt- und Arbeitsfeldern (z.B. Arbeitsplatzkonflikte, B2B, …) über eine gesetzliche Verpflichtung zu einem Mediationsversuch als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Klage nachgedacht werden, allerdings inhaltlich anders (gerade nicht beschränkt auf ökonomische Bagatellsachen) und weitergehend als die obligatorische außergerichtlichen Streitschlichtung nach § 15a EGZPO.

Eines der Hauptmerkmale der Mediation ist die Anerkennung der Selbstbestimmung der Konfliktparteien (vgl § 1 Abs. 1 MediationsG; § 1 Abs. 1 ZivMediatG).[2] Die Parteien bestimmen Anfang und Ende des Mediationsverfahrens sowie Inhalt und Ziel der Mediation. Sie bestimmen, welchen Konfliktstoff sie thematisieren, wie viel Emotionen sie in die Konfliktklärung hineinlegen und welche inhaltlichen Optionen und Lösungen ihren Interessen entsprechen. Aus der Gewährleistung der Selbstbestimmung der Parteien im Verfahren zur Regelung und ggf Lösung von Konflikten zieht die Mediation ihre Legitimation und ihren emanzipatorischen Charakter.

Wenn von den Grundprinzipien der Mediation die Rede ist, findet sich zumeist auch der Begriff Freiwilligkeit (vgl Art. 3 a EU-Mediationsrichtlinie 2008; § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 2 MediationsG; § 1 Abs. 1 ZivMediatG), der allerdings diffus ist und auch in den Debatten nicht immer hinreichend operationalisiert wird.[3] Was genau beinhaltet Freiwilligkeit und auf welche Bereiche der Mediation bezieht sich der Begriff?

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Expertentagung des BMJV zur Zukunft der Mediation – 28.05.2021

Nachdem die ursprünglich vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) für den 22. Juni 2020 in Berlin geplante Mediationskonferenz „Stärkung der Mediation: Qualitäts- und Reputationssteigerung durch mehr staatliche Regulierung?“ aufgrund der Corona-Regelungen nicht im analogen Modus durchgeführt werden konnte, lädt das BMJV nun zu einer entsprechenden Online-Expertentagung am 28.05.2021 ein. Das BMJV will mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Verbänden, Wissenschaft, Ländern, Anwaltschaft und Justiz die gegenwärtige Lage und die Zukunft der Mediation in Deutschland diskutieren. Zunächst geht es um eine umfassende Bestandsaufnahme, bei der sämtliche für die Entwicklung der Mediation maßgeblichen Einflussfaktoren untersucht und diskutiert werden sollen. In zwei weiteren Themenblöcken wird dann explizit der rechtliche Regulierungsrahmen in den Blick genommen: Bedürfen die Ausbildung und die Zertifizierung von Mediatorinnen und Mediatoren der staatlichen Steuerung? Wie steht es um die Einbettung der Mediation in das bestehende Rechtsschutzsystem?

Neben der Eröffnung durch Frau Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Christine Lambrecht, MdB, werden in Eingangsstatements und Vorträgen von namhaften Vertreter*innen aus Wissenschaft und Praxis wird es im Rahmen von Podiumsdiskussionen auch für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz die Gelegenheit geben, sich aktiv einzubringen und ihrer Ansicht Gehör zu verschaffen.  Als einer Experten wurde auch der Leiter des SIMK, Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A., eingetragener Mediator (BMJ, Wien; NMAS, Aus.) und BMWA-Lehrtrainer, eingeladen, insb. zur Frage der Integration der Mediation in das bestehende Rechtsschutzsystem Stellung zu nehmen.

Das detaillierte Programm BMJV Mediationskonferenz-2021 können Sie sich hier und  hier herunterladen. Zum Statement von Prof. Trenczek → „Autonomie und Freiwilligkeit (in) vs Vorrang, Verpflichtung und Anordnung der Mediation„.

Es wird um Verständnis dafür gebeten, dass die vorhandenen Kapazitäten nur eine Anmeldung je Organisation zulassen.

Roland Rechtsreport 2021 dokumentiert hohe Bekanntheit von ADR

Seit 2010 wird mit dem ROLAND Rechtsreport jährlich die öffentliche Meinung zum deutschen Rechtssystem und zu ausgewählten rechtspolitischen Schwerpunktthemen ermittelt. Einer der Schwerpunkte dieser Untersuchung waren erneut die Langzeitanalyse des Vertrauens in wichtige gesellschaftliche und staatliche Institutionen, die grundsätzlichen Einstellungen der Bevölkerung zum deutschen Rechtssystem sowie die Bekanntheit und Einstellungen der Bevölkerung zur außergerichtlichen Streitbeilegung

Der neue ROLAND RECHTSREPORT 2021 unterstreicht wieder die mittlerweile hohe Bekanntheit und Bedeutungder außergerichtlichen Streitbeilegung: 86 % der Bevölkerung haben davon gehört, dass ein Konflikt auch außergerichtlich, etwa durch eine Mediation oder Schlichtung, gelöst werden kann. Erwartungsgemäß ist die Konfliktbeilegung ohne Beteiligung eines Gerichts in höheren Bildungsschichten bekannter als in einfachen Bildungsschichten. So kennen 91 %  der Personen mit höherer Schulbildung die Möglichkeit der außergerichtlichen Streitbeilegung, von Personen mit einfachem Schulabschluss sind es 79 %.  Die befragten Personen bewerten die Erfolgschancen der außergerichtlichen Streitbeilegung überwiegend positiv. 52 % sind überzeugt, dass sich mit einem solchen Verfahren viele Streitigkeiten beilegen lassen, nur 31 % sind skeptisch. Im Vergleich zu den Vorjahren werden die Erfolgschancen einer außergerichtlichen Einigung weitgehend stabil positiv bewertet.

Kritisch angemerkt werden muss im Hinblick auf die Ergebnisse, dass die Befragung die sehr unterschiedlichen Verfahrensarten undifferenziert in der Sammelkategorie „außergerichtliche Streiterledigungsverfahren“ zusammenfasst und deshalb nicht nur im Hinblick auf diese Verfahren wenig aussagekräftig ist, sondern indirekt wohl auch mit dazu beiträgt, dass deren Unterschiede, z.B. zwischen dem → Mediationsverfahren und einer → Schlichtung, in der Öffentlichkeit nicht hinreichend kommuniziert und immer wieder verwechselt werden.

Quelle: Roland Rechtsschutzversicherung (15.04.2021)

 

IHK-Konfliktnavigator

Koordiniert durch den Deutschen Industrie- und Handelskammertag e.V. haben die deutschen IHKs einen neuen „Konfliktnavigator“ online gestellt, der insb. mittelständischen Mitgliedsunternehmen, aber auch deren Mitarbeiter*innen und Kunden, einen schnellen, einfachen Zugang insb. zu sog. „alternativen“, außergerichtlichen und insb. konsensualen Formen der Streiterledigungsverfahren (sog. ADR, s. Glossar) eröffnen soll. Unter der Rubrik/Kachel „Konflikt lösen“ werden die Nutzer durch einen, im Hinblick auf die rechtlichen Möglichkeiten stark vereinfachten sog. „Entscheidungsbaum“ geleitet, der Konfliktparteien eine erste Einschätzung über die geeigneten Verfahrensarten ermöglicht. Angesprochen werden hierbei  allerdings nur Konflikte,

  • an dem Unternehmen oder eine öffentliche Stelle beteiligt sind (b2b);
  • an dem ein Unternehmen und ein Verbraucher involviert ist (b2c);
  • im Arbeitsrecht bzw. zwischen Gesellschaftern oder auf Ebene der Geschäftsleitung eines Unternehmens.

Gleichwohl kann das Programm Unternehmen und Personen, die bislang noch nicht viel über ADR wissen, eine erste Entscheidungshilfe geben. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass sich in die Darstellung (in der Version Anfang April 2021) nicht zuletzt wegen der starken Vereinfachung der Entscheidungsmöglichkeiten einige Ungenauigkeiten eingeschlichen haben. So werden die Unterschiede zwischen Schlichtungs- und Mediationsverfahren nicht hinreichend erläutert sowie die Begriffe „Rechtsverbindlichkeit“ und „unmittelbare Vollstreckbarkeit“ verwechselt bzw. nicht hinreichend zwischen den sog. Dritt-Entscheidungsverfahren und Mediationsverfahren unterschieden. Insb. ist darauf hinzuweisen, dass auch das Mediationsverfahren (anders als im Konfliktnavigator formuliert) im Einigungsfall zu vertraglichen und damit rechtsverbindlichen Regelungen führt.

Prof. Trenczek ist bei der IHK Hannover und der HK Hamburg als Mediator gelistet.

(Quelle: DIHK | Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V.  10.04.2021)

Änderung der Zertifizierte-Mediatoren-Ausbildungsverordnung

Die Erste Verordnung zur Änderung der Zertifizierte-Mediatoren-Ausbildungsverordnung v. 30. Juli 2020 (BGBl I S. 1869) ist rückwirkend zum 1. März 2020 in Kraft getreten.

Aus der Begründung zum Referentenentwurf der Bundesregierung:

Die Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren (Zertifizierte-Mediatoren-Ausbildungsverordnung – ZMediatAusbV) legt fest, innerhalb welcher Fristen bestimmte Aus- und Fortbildungsmaßnahmen wie eine erste praktische Mediation, Einzelsupervisionen und Fortbildungen durchzuführen sind, damit Betroffene die Bezeichnung „zertifizierte Mediatorin“ bzw. „zertifizierter Mediator“ führen dürfen. Sie enthält jedoch keine Regelung für den Fall, dass die Fristen nicht eingehalten werden können. Im Falle eines unverschuldeten Fristversäumnisses kann dies zu unbilligen Folgen führen. Denn die Aus- und Fortbildung ist mit erheblichen zeitlichen und finanziellen Belastungen für die Betroffenen verbunden. Es ist daher geboten, Betroffenen in bestimmten Ausnahmefällen einen zeitlichen Aufschub für die Durchführung der geforderten ersten Mediation, der notwendigen Einzelsupervisionen oder für die Absolvierung ihrer Fortbildungsveranstaltungen zu gewähren.

Über die neuen Regelungen (insb. zur Fristhemmung) finden Sie eine übersichtliche Darstellung auf der News-Seite der Centrale für Mediation [abgerufen am 27.08.2020] sowie einen Beitrag von Dr. Larissa Thole in der ZKM 4/2020, 139 f.

Quellen: Internetseite des BMJV [abgerufen 2.8.2020];
Centrale für Mediation v. 25.08.2020]

 

EuGH sichert freie Anwaltswahl im Mediationsverfahren

Rechtsschutzversicherte können ihr Recht auf freie Anwaltswahl auch dann ausüben, wenn sie sich für eine gerichtliche oder außergerichtliche Mediation entscheiden. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf Vorlage eines belgischen Gerichts entschieden.
Die Vorlagefrage beschäftigte sich mit der Auslegung des in Art. 201 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2009/138/EG betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit. Im Wesentlichen ging es um den in der Vorschrift enthaltenen Begriff „Gerichts- oder Verwaltungsverfahren“, nach dem es dem Versicherten freisteht, einen Rechtsanwalt zu wählen. Das belgische Recht sah vor, dass einem Rechtsschutzversicherten das Recht auf freie Anwaltswahl bei einer Mediation im Unterschied zu einem Schiedsverfahren verwehrt war.Der EuGH legt den Begriff „Gerichtsverfahren“ weit aus. Umfasst sind danach auch gerichtliche oder außergerichtliche Mediationsverfahren, wenn ein Gericht beteiligt ist oder werden kann, sei es bei der Einleitung oder nach Abschluss dieses Verfahrens. Schließlich sei es inkohärent, wenn das Unionsrecht die Anwendung alternativer Streitbeilegungsmethoden fördere und gleichzeitig die Rechte der Einzelnen einschränkte, indem keine freie Anwaltswahl gewährt werde.

Diese Auslegung des EuGH bleibt im Ergebnis gleichwohl deutlich hinter derjenigen des Generalanwalts zurück, der sich dafür ausgesprochen hatte, den Begriff „Gerichtsverfahren“ in der entsprechenden EU-Verordnung so auszulegen, dass er auch ein außergerichtliches Vermittlungsverfahren umfasst, und zwar unabhängig davon, ob auch schon ein Gericht mit der Streitsache befasst ist.

Quellen:
Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.05.2020 16:37
EuGH, Urteil vom 14.5.2020, Rs. C-667/18