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Neue EU-Empfehlung zu Opferrechten und Restorative Justce

Das Ministerkomitee des Europarats hat am 15. März 2023 eine neue Empfehlung zur Unterstützung der Opfer von Straftaten aus dem Jahr 2006 (Recommendation CM/Rec(2023)2 of the Committee of Ministers to member States on rights, services and support for victims of crime) herausgegeben, die  die Empfehlung Rec(2006)8 vom 14.6.2006 ersetzt und detailliertere Leitlinien für die Entwicklung und Umsetzung der Opferrechte enthält. Insbesondere werden die Mitgliedstaaten auffordert, Hindernisse beim Zugang zur Justiz für Opfer von Straftaten ausfindig machen und beseitigen. Diese neue Empfehlung baut auf den Entwicklungen auf, die im Bereich der Opferrechte stattgefunden haben, einschließlich Entwicklungen in der nationalen und internationalen Gesetzgebung, in der Praxis und in der Viktimologieforschung, und die zu einem besseren Verständnis der Bedürfnisse der Opfer führen. Diese Empfehlung beinhaltet einen ganzheitlicheren Ansatz für die Opferrechte, indem versucht wird, die Opferrechte und -dienste über den Kontext des Strafverfahrens hinaus weiterzuentwickeln und auszuweiten, indem die Opferrechte nicht nur im Kontext des Strafverfahrens, sondern auch vor, nach oder unabhängig davon gefördert werden Verfahren. Durch die Erinnerung an die Empfehlungen des Europarates zu Restorative Justice (CM/Rec(2018)8) hebt die neue Empfehlung die Anwendung von Restorative Justice im gesamten Text hervor und fordert die Mitgliedstaaten des Europarates auf sicherzustellen, dass Anbieter von Restorative Justice die Empfehlung CM/Rec einhalten (2018) 8. Insbesondere Artikel 18 widmet sich der Förderung von opferorientierten Diensten in den Mitgliedstaaten des Europarates als allgemein verfügbare Dienste, indem er feststellt, dass „die Art und Schwere der Straftat oder ihr geografischer Ort nicht berücksichtigt werden sollten selbst und in Ermangelung anderer Erwägungen verhindern, dass opferorientierte Justiz angeboten wird.“ Der vollständige Text der neuen Empfehlung kann → hier abgerufen werden, derzeit leider erst in englischer und französischer Sprache.

Quelle: Council of Europe – Committee of Ministers v. 15.03.2023;
European Forum for Restorative Justice v. 16.03.2023

Roland Rechtsreport 2023: weniger Menschen ziehen vor Gericht – hohe Bedeutung der außergerichtlichen Streitbeilegung

Wie steht es um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das deutsche Rechtssystem? Dieser und weiteren Fragen geht die im Auftrag von Roland Rechtsschutzversicherung wiederholt erstellte Studie auf Basis einer repräsentativen Meinungsbefragung auf den Grund (hierzu vgl. auch die News Roland Rechtsreport 2021, und 2018). Im (ersten) Teil A des diesjährigen Roland Rechtsport 2023 geht es insb. um die Einstellung der Bevölkerung zum deutschen Justizsystem und zur außergerichtlichen Konfliktlösung (in Teil B geht es um den Zusammenhalt in der deutschen Gesellschaft, im Teil C um das deutsche Rechts- und Justizsystem aus Sicht von Richter: und Staatsanwält:innen).

Dabei zeigt sich, dass 70 Prozent der Bürger:innen sehr viel oder ziemlich viel Vertrauen in die Gesetze haben, 69 Prozent in die Gerichte. Aber: Sie äußern auch deutliche Kritik. So halten 75 Prozent der Befragten die deutschen Gerichte für überlastet, 80 Prozent kritisieren die lange Dauer von Gerichtsverfahren. Weiterhin wird eine aus der Sicht der Bürger:innen uneinheitliche Rechtsprechung bemängelt und dass die Gesetze zu kompliziert und schwer zu verstehen sind.

Den Weg vor Gericht schlagen jedoch mittlerweile deutlich weniger Menschen ein: 22 Prozent der Befragten an, in den letzten zehn Jahren als Zeuge, Kläger oder Beklagter an einem Gerichtsprozess beteiligt gewesen zu sein (zwischen 2011 und 2015 waren es noch 29 Prozent). „Ein möglicher Grund für diese rückläufige Tendenz ist die Sorge vor hohen Verfahrens- und auch Anwaltskosten“, sagt ROLAND-Vorstand Dr. Ulrich Eberhardt. So sind bei einer mittleren Schadenssumme von 600 Euro nur vier von zehn Bürgerinnen und Bürgern gewillt, vor Gericht zu ziehen. 27 Prozent würden es wahrscheinlich nicht tun und 33 Prozent sind unentschieden. Interessanterweise zeigt die Studie, dass das Einkommen diese Entscheidung nicht beeinflusst. Hingegen ist die Unterstützung durch einen Rechtsschutz-Versicherer ein klarer Einflussfaktor: Während 47 Prozent der Personen mit einer Rechtsschutz-Versicherung bei einem Schaden von 600 Euro prozessieren würden, sind es bei den Menschen ohne Rechtsschutz-Versicherung nur 29 Prozent.

Dass 62 Prozent derer, die bei einer Schadenssumme von 600 Euro nicht vor Gericht ziehen würden, angeben, dass sie lieber versuchen würden, eine Einigung auf anderem Wege zu erzielen, unterstreicht die große Bedeutung von Angeboten der außergerichtlichen Streitbeilegung. Nach Ansicht der Verfasser der Studie werde damit dezeigt, dass die Bevölkerung der Möglichkeit der außergerichtlichen Streitbeilegung einen hohen Stellenwert beimesse.

Für die Bewertung der außergerichtlichen Streitbeilegung wurde den Befragten folgende detaillierte Beschreibung der Einzelheiten des Verfahrens vorgelegt:

– Die Teilnahme an solchen Verfahren ist freiwillig
– Die beiden Streitparteien versuchen mit Hilfe eines unabhängigen Vermittlers, gemeinsam zu einer Konfliktlösung zu kommen
– Der Vermittler unterstützt die beiden Streitparteien bei der Suche nach einer Konfliktlösung
– Ob und wie die Parteien sich einigen, entscheiden sie alleine. Sie können sich aber auch rechtlich beraten lassen.

Auf Basis dieser Informationen bewertet die Bevölkerung die Erfolgschancen der außergerichtlichen Streitbeilegung nach wie vor mehrheitlich positiv: 51 Prozent sind überzeugt, dass sich mit einem solchen Verfahren viele Streitigkeiten beilegen lassen, 37 Prozent sind hingegen skeptisch. Der Vergleich mit den früheren Jahren (hierzu Roland Rechtsreport 2021, und 2018) zeige, dass die Bewertung der Erfolgschancen einer außergerichtlichen Einigung leicht schwankt. Vor einem Jahr meinten 56 Prozent, dass sich mithilfe der außergerichtlichen Streitbeilegung viele rechtliche Auseinandersetzungen lösen ließen, ein Jahr zuvor in etwa genauso viele wie derzeit.

Den kompletten Roland Rechtsreport 2023 sowie der früheren Jahre finden Sie → hier

Quelle: ROLAND Rechtsreport [12.03.2023]

Veröffentlichung der IHK Nds. zur Außergerichtlichen Konfliktlösung

Die IHK Niedersachsen (IHKN) hat im Febr. 2023 die Publikation IHKN Fokus Niedersachsen „Außergerichtliche Konfliktlösung – Möglichkeiten und Vorteile in Industrie und Handel“ herausgegeben, die einen Überblick über die wichtigsten Verfahrensarten der außergerichtlichen Konfliktlösung sowie die Vorteile gegenüber dem klassischen Rechtsstreit vor Gericht gibt und aufzeigt, welche Angebote die niedersächsischen Industrie- und Handelskammern in diesem Bereich bieten.

Die Broschüre kann über den folgenden → Link als PDF-Datei heruntergeladen werden.

Quelle:  IHKN v. 20.2.2023

Recht ohne Streit – interaktiver ADR-Online-Konfliktlotse freigeschaltet

Seit langem wird beklagt, dass interessengerechte und ressourcenschonende Wege der Konfliktbeilegung vielfach nicht beschritten werden, weil Betroffene von diesen Möglichkeiten  keine oder nur unklare Vorstellungen haben und weil sie nicht wissen, wie sie auf diese Wege  gelangen können. Sie sehen dann entweder von der Durchsetzung ihrer Ansprüche ab oder  begeben sich in ein oftmals beschwerliches Gerichtsverfahren, obwohl sie durch  Verhandlungen oder Vermittlung Dritter schnellere und vorteilhaftere Lösungen hätten finden  können.  Ob und wie sich diese unbefriedigende Situation ändern lässt, soll mit einem Forschungsprojekt  untersucht werden, in dessen Mittelpunkt ein interaktives Internet-Portal steht: nach langen  Vorarbeiten und zahlreichen Testläufen kann dieses jetzt unter rechtohnestreit.de kostenfrei  und anonym genutzt werden  Die Besonderheit dieses Angebots besteht darin, dass es Konfliktbetroffene nicht nur über die  Möglichkeiten alternativer Streitbeilegung informiert, sondern motiviert und darin unterstützt,  von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Sie werden dazu veranlasst, über die  rechtliche Seite des Konflikts hinauszudenken, sich Klarheit zu verschaffen, was ihnen wirklich  wichtig ist, und zu erkennen, auf welchen Wegen sie diese Ziele erreichen können.  Dabei werden sie – anders als in bekannten Navigationssystemen – nicht zu einem bestimmten  Verfahren geleitet, sondern durch einen niederschwelligen Ansatz und auf ihre konkrete  Situation bezogene Informationen zu einer autonomen Entscheidung über den  einzuschlagenden Weg befähigt. Die im konkreten Konflikt und für die gesetzten Ziele in  Betracht kommenden Methoden (vom kooperativen Verhandeln über Moderation, Mediation  und Schlichtung bis zu Bewertungs- und Entscheidungsverfahren) werden anschaulich  erläutert, ihre Chancen mit Fallbeispielen verdeutlicht. Es wird über Kosten und Anbieter  informiert, vor allem aber auch aufgezeigt, dass die im interaktiven Teil herausgearbeiteten  Interessen auch durch flexible Verfahrensgestaltungen umgesetzt werden können.  Überdies werden die Nutzer dabei unterstützt und begleitet, den Weg ihrer Wahl zu  beschreiten. Sie erfahren, wie sie Konfliktpartner für die Teilnahme gewinnen können, wie sie  vermittelnde Dritte finden und beauftragen, worauf zu achten ist, wenn eine rechtssichere  Übereinkunft erzielt werden soll, und was sie tun können, wenn die andere Seite nicht  mitmacht.  Konfliktbeteiligten, die sich ohne Interessenerforschung über Möglichkeiten zur Lösung ihres  Konflikts informieren wollen, ermöglicht das System auch einen Schnelldurchgang. Außerdem vermittelt es Professionals, die in der Rechts- oder Konfliktberatung tätig oder, wie z.B. Lehr-  oder Führungskräfte, mit Konflikten anderer beschäftigt sind, in einer Infothek  praxisbezogenes Wissen zu allen Fragen der alternativen Konfliktbeilegung.  Das Angebot trägt den Namen „Recht ohne Streit“, um deutlich zu machen, dass die alternative  Streitbeilegung nicht außerhalb der Rechtsordnung steht, sondern es den Beteiligten  ermöglicht, selbst zu bestimmen, was in ihrer Beziehung zueinander rechtens sein soll. Initiiert  und konzipiert wurde es von einer interdisziplinären, unabhängigen Arbeitsgruppe um Professor  Reinhard Greger, der seine Erfahrungen aus 25-jähriger ADR-Forschung eingebracht hat. Die  Initiatoren erhoffen sich ein reges Feedback, um weiter am Ziel eines digitalen  Konfliktanlaufsystems arbeiten zu können.

Quelle sowie weitere Informationen: Prof. Dr. R Greger; https://rechtohnestreit.de/

Supervisorische Praxisreflexion und Weiterbildung für BMWA-Mediator*innen 2023

Supervisorische Praxisreflexion und interne Weiterbildung für BMWA-Mediator*innen: Prof. Trenczek veranstaltet für die BMWA-zertifizierten Mediatoren in Nds. idR 4-5 mal im Jahr eine supervisorische Fall- und Praxisreflexion/Fortbildung. Die nächsten Treffen finden im am

  • Mo. 13.02.2023
  • Mo. 24.04.2023
  • Fr.   23.06.2023
  • Mo. 16.10.2023

jeweils von 16.00 – 18.00 Uhr statt (z.T. online über Videokonferenz). Der Teilnehmer*innenkreis ist auf maximal 8 Personen begrenzt. Eine Anmeldung ist erforderlich.

QVM-Qualitätslabel und Zertifizierungstelle gestartet

Der Qualitätsverbund Mediation (QVM), gegründet von , , und , hat verbandsübergreifend gemeinsame → Standards für die Mediationsausbildung (QVM-Mediation – Standards 2019) erarbeitet, ein einheitliches Qualitätslabel entwickelt sowie eine unabhängige Zertifizierungsstelle gegründet, die von der Qualitätsverbund Mediation GmbH i.G. administriert wird → https://qv-mediation.de/.
Zum Antragsverfahren geht es → hier: QVM-Antragsvefahren

Seit vielen Jahren haben sich das SIMK und Prof. Trenczek für verbraucherschützende Qualitätsstandards und eine verbesserte Zusammenarbeit der deutschen Mediationsverbände eingesetzt. Deshalb begrüßen wir es, dass es nun mit dem QvM gelungen ist, ein einheitliches Qualitätslabel zu etablieren sowie eine unabhängige, verbandsübergreifend agierende Zertifizierungsstelle einzurichten, um auch in Deutschland ein hohes, einheitliches Qualifizierungsniveau für Mediator:innen sicherzustellen. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die Akzeptanz durch (potenzielle) Nutzer und damit die Markttauglichkeit der Mediation zu fördern. Weitere Schritte müssen folgen (z.B. Einrichtung einer Beschwerdestelle; Mediationskostenhilfe, …), damit Mediation auch in Deutschland vermehrt als professionelles Konfliktlösungsverfahren eingesetzt wird. Mediation und Recht sind freilich kein Gegensatz und die ADR-Verfahren (insb. Mediation) sollen und können im Rechtsstaat das staatliche Gerichtsverfahren nicht ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen. Das kann aber nur gelingen, wenn die fachlichen Standards des konsensualen Konfliktmanagements in der Ausbildung und Praxis eingehalten und damit das Vertrauen in die Seriosität der Mediation und der Mediator:innen gesteigert werden.

 

Vgl. hierzu auch:

  • News v. Qualitätsverbund Mediation – Fachverbände einigen sich über QVM-Fachstandards
  • Trenczek, T.: Professionalisierung von Mediatoren; in: v. Schlieffen (Hrsg.): Professionalisierung und Mediation; Beck Verlag, München 2010, S. 99 ff.
  • Trenczek, T.: Fachgerechte Mediation – Qualitätsstandards in der Konfliktvermittlung; Zeitschrift für Rechtspolitik 8/2008, S. 186 ff.
  • Trenczek, T.: Gute Mediatoren – Zur Fachlichkeit von Konfliktvermittlern; ZKM 1/2008, S. 16 ff.
  • Trenczek, T.: Formalisierung der informellen Streitregelung? Anregungen für die Entwicklung von Mediationsstandards; Zeitschrift für Konfliktmanagement 5/2005, S. 153-157

 

Weniger Klagen – Chance für mehr ADR?

Die Zahl der Neuzugänge bei den Amtsgerichten ist in Zivilsachen seit der Jahrtausendwende um mehr als ein Drittel zurückgegangen. 2016 sank die Zahl der Zivilprozesssachen bei den Amtsgerichten erstmals auf unter eine Million Verfahren. Nach mehreren Jahren relativ stabiler Eingangszahlen ging die Zahl 2020 wieder stärker auf 852.907 zurück. Die Anzahl deer sog. Mahnsachen hat sich von 8,5 Millionen im Jahr 2002 auf 4,4 Millionen im Jahr 2020 fast halbiert. Auch bei den Fachgerichten sind abnehmende Fallzahlen festzustellen. So hat sich von 2004 bis 2020 die Zahl der finanzgerichtlichen Verfahren mehr als halbiert. Zugleich hat die Zahl der Richterstellen in der Justiz von 2008 bis 2020 von 20.101 auf 21.943 um fast 10 Prozent zugenommen.

Prof. Dr. Matthias Kilian, langjähriger Direktor des Soldan Instituts, Köln, hat zu diesem Befund rund 1.900 Anwältinnen und Anwälte in Deutschland befragt. Ergebnis: Es gibt drei Hauptgründe für die abnehmende Inanspruchnahme staatlicher Gerichte:
1. Personen, die sich mit einem Rechtsproblem konfrontiert sehen, seien mittlerweile stärker an einer schnellen Konfliktlösung interessiert und diese Erwartung werde durch Gerichtsverfahren nicht (mehr) erfüllt.
2. Die Rechtsuchenden scheinen durch drohende Kosten bzw. Kostenrisiken von einer Inanspruchnahme der Gerichte abgehalten zu werden.
3. Es mangele an Vertrauen in die staatlichen Gerichte, zu fairen Ergebnissen zu gelangen.

Quellen: Verlag Dr. Otto Schmidt vom 27.09.2022
www.anwaltsblatt.anwaltverein.de v. 13.9.2022