Freiwilligkeit vs. obligatorischer Mediation – Urteil des EuGH C‑75/16 vom 14.06.2017

Aus Anlass einen Verfahrens in Italien (Menini und Rampanelli vs. Banco Popolare Società Cooperativa – EuGH C‑75/16 vom 14. 06. 2017) hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) im Hinblick auf Europäisches Recht (Richtlinie 2008/52/EG – Richtlinie 2013/11/EU – Art. 3 Abs. 2) die Zulässigkeit der obligatorischen alternativen Streitbeilegung (AS) bestätigt.  Eine zwingende Mediation in Verbraucherstreitigkeiten ist mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn letztlich die Parteien den Ablauf des Mediationsverfahrens bestimmen.

Leitsätze:  Die Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten) ist dahin auszulegen. dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, die in den in Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Rechtsstreitigkeiten die Einleitung eines Mediationsverfahrens als Zulässigkeitsvoraussetzung einer gerichtlichen Klage in Bezug auf diese Streitigkeiten vorsehen, soweit ein solches Erfordernis die Parteien nicht daran hindert, ihr Recht auf Zugang zum Gerichtssystem auszuüben.

Diese Richtlinie ist andererseits dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die vorsehen, dass ein Verbraucher im Rahmen einer solchen Mediation einen Anwalt beiziehen muss und dass er ein Mediationsverfahren nur abbrechen darf, wenn er das Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes für diese Entscheidung darlegt.

Entscheidungsgründe: In einer ersten Vorfrage ging es zunächst darum, ob die EU-RL im Hinblick auf innernationale Streitigkeiten anwendbar sei. Ziel der EU-RL 2008/52 sei es nach Art. 1 Abs. 1, den Zugang zur alternativen Streitbeilegung zu erleichtern und die gütliche Beilegung von Streitigkeiten zu fördern, indem zur Nutzung der Mediation angehalten wird. Art. 1 Abs. 2 unterstreicht, dass diese Richtlinie für grenzüberschreitende Streitigkeiten in Zivil- und Handelssachen gilt, d. h. nach ihrem Art. 2 für Streitigkeiten, in denen mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem einer der anderen Parteien hat. Den Mitgliedstaaten stehe es aber frei, diese Richtlinie auch auf interne Mediationsverfahren anzuwenden, eine Option, von der der italienische Gesetzgeber, wie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, Gebrauch gemacht hat.

Mit seiner zweiten Frage wollte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2013/11 dahin auszulegen ist, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die erstens vorsehen, dass in den in Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Streitigkeiten zwingend ein Mediationsverfahren als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Klage in Bezug auf diese Streitigkeiten in Anspruch genommen werden muss, zweitens, dass ein Verbraucher im Rahmen einer solchen Mediation einen Anwalt beiziehen muss, und drittens, dass ein Verbraucher ein vorgeschaltetes Mediationsverfahren nur dann abbrechen darf, wenn er einen rechtfertigenden Grund für diese Entscheidung darlegt.

Insbesondere ging es um die Auslegung von Art. 1 Satz 1 RL 2013/11/EU, der für Verbraucher die Möglichkeit vorsieht, „auf freiwilliger Basis“ Beschwerden gegen Unternehmer bei AS-Stellen einzureichen. Nach ständiger Rechtsprechung der EUGH sind bei der Auslegung von unionsrechtlichen Vorschriften jedoch nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden, und ihr Zusammenhang zu berücksichtigen (EuGH 15. 10.2014, Hoštická u. a., C‑561/13, EU:C:2014:2287, Rn. 29). Auch wenn Art. 1 Satz 1 der RL 2013/11/EU den Ausdruck „auf freiwilliger Basis“ verwendet, ist insoweit darauf hinzuweisen, dass sein Satz 2 für die Mitgliedstaaten ausdrücklich die Möglichkeit vorsieht, die Teilnahme an AS-Verfahren verpflichtend vorzuschreiben, sofern diese Rechtsvorschriften die Parteien nicht an der Ausübung ihres Rechts auf Zugang zum Gerichtssystem hindern.  Diese Auslegung werde auch von Art. 3 Buchst. a der RL 2008/52/EU bestätigt, der die Mediation als ein strukturiertes Verfahren unabhängig von seiner Bezeichnung definiert, in dem zwei oder mehr Streitparteien auf freiwilliger Basis selbst versuchen, eine Vereinbarung über die Beilegung ihrer Streitigkeiten zu erzielen. Dieses Verfahren kann von den Parteien eingeleitet oder von einem Gericht vorgeschlagen oder angeordnet werden, aber auch nach dem Recht eines Mitgliedstaats vorgeschrieben sein. Ferner lässt die RL 2008/52/EU nach ihrem Art. 5 Abs. 2 nationale Rechtsvorschriften unberührt, nach denen die Inanspruchnahme der Mediation verpflichtend ist, sofern diese Rechtsvorschriften die Parteien nicht daran hindern, ihr Recht auf Zugang zum Gerichtssystem wahrzunehmen. Mithin bestehe die Freiwilligkeit der Mediation folglich nicht in der Freiheit der Parteien, dieses Verfahren in Anspruch zu nehmen oder nicht, sondern darin, dass „die Parteien selbst für das Verfahren verantwortlich sind und es nach ihrer eigenen Vorstellung organisieren und jederzeit beenden können“.  Daher komme es nicht auf den verpflichtenden oder freiwilligen Charakter der Mediationsregelung, sondern auf den Umstand an, dass das Recht der Parteien auf Zugang zum Gerichtssystem gewahrt bleibe. Unter diesen Umständen erscheint die Tatsache, dass mit einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, nicht nur ein außergerichtliches Mediationsverfahren geschaffen wurde, sondern darüber hinaus dessen Inanspruchnahme vor der Anrufung eines Gerichts verbindlich vorgeschrieben wurde, nicht geeignet, die Verwirklichung des Ziels der RL 2013/11/EU zu beeinträchtigen (vgl. entsprechend Urteil vom 18. März 2010, Alassini u. a., C‑317/08 bis C‑320/08, EU:C:2010:146, Rn. 45). …

Somit könne das Erfordernis eines Mediationsverfahrens als Zulässigkeitsvoraussetzung einer gerichtlichen Klage mit dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes vereinbar sein, wenn dieses Verfahren nicht zu einer für die Parteien verbindlichen Entscheidung führe, keine wesentliche Verzögerung für die Erhebung einer Klage bewirke, die Verjährung der betroffenen Ansprüche hemme und für die Parteien keine oder nur geringe Kosten mit sich bringe, vorausgesetzt jedoch, dass die elektronische Kommunikation nicht das einzige Mittel des Zugangs zu diesem Streitbeilegungsverfahren bilde und dass Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes in Ausnahmefällen möglich sind, in denen die Dringlichkeit der Lage dies verlange. Der etwaige Abbruch des AS-Verfahrens durch den Verbraucher dürfe für ihn keine nachteiligen Folgen im Rahmen des Gerichtsverfahrens über diejenige Streitigkeit haben, die Gegenstand des Mediationsverfahrens war oder hätte sein müssen.

Im Ergebnis sei das Erfordernis eines Mediationsverfahrens als Zulässigkeitsvoraussetzung einer gerichtlichen Klage mit Art. 1 der RL 2013/11/EU vereinbar. Allerdings dürften nationale Rechtsvorschriften nicht verlangen, dass der an einem AS-Verfahren beteiligte Verbraucher zwingend über anwaltlichen Beistand verfügt.

Den vollständigen Text der EuGH Enscheidung finden Sie auf den Seiten InfoCuria – Rechtsprechung des Gerichtshofs unter EuGH C‑75/16 vom 14.06.2017

Quelle: EuGH Pressemeldung Nr. 62/17 vom 14. 06.2017