Allparteilichkeit – Anspruch und Wirklichkeit

Die professionelle, spezifische Haltung von Mediatoren wird zumeist mit Allparteilichkeit umschrieben; zumindest wird von ihnen gemeinhin Neutralität erwartet, wobei weder bei dem einen noch dem anderen Begriff hinreichend klar zu sein scheint, was damit gemeint ist. Im Wesentlichen geht es um die gleichzeitige Sicherstellung von:

  • Vorurteilsfreiheit und -losigkeit: keine Voreingenommenheit und keine Bewertungen im Hinblick auf die Sachfrage
  • Unbefangenheit und Unvoreingenommenheit,
  • Äquidistanz („gleich großer Abstand“) zu den beteiligten Personen (den/allen Parteien),
  • Unparteilichkeit,
  • menschlicher wie inhaltlicher (Ergebnis-)Offenheit und Sachlichkeit sowie
  • Wertschätzung aller beteiligten Parteien,

was in Neusprache mit „Allparteilichkeit“ bezeichnet wird. Mediatoren dürfen kein eigenes (persönliches wie institutionelles) Interesse an einem bestimmten Konfliktausgang haben (zB Quote der Einigungen). Es ist ihre Aufgabe, einen Konflikt ergebnisoffen zu mediieren. Mediatoren sind aber nicht neutral im Sinne von teilnahmslos, sondern ihre Aufgabe ist es, die Selbstbestimmung der Parteien durch Stärkung ihrer persönlichen Ressourcen zu fördern (Empowerment). Sie arbeiten dabei als Klärungshelfer für beide/alle Parteien („Allparteilichkeit“) mit einer mediativen Grundhaltung, wodurch die Balance und Symmetrie zwischen den Parteien (wieder) hergestellt werden soll bei gleichzeitiger inhaltlicher Enthaltung im Hinblick auf die Regelungsoptionen.

Neutralität und Allparteilichkeit sind freilich ideale Konstrukte. Sie vollkommen her- und sicherzustellen wird kaum gelingen (können). Es kann deshalb nur darum gehen, aktiv daran zu arbeiten, sich seiner eigenen Orientierungen, Befangenheit, Hypothesen, Neigungen und Gefühle sowie der damit zusammenhängenden Gefährdungen bewusst zu werden, um den Parteien in einer Weise gegenüberzutreten, die es ihnen erlaubt, die Mediatoren als unparteiisch zu erleben, sie zu akzeptieren, sich ihnen anzuvertrauen und sich von ihnen in dem Verfahren leiten zu lassen

Jede Intervention der Mediatoren basiert – bewusst oder unbewusst – auf einer Hypothese, also (hoffentlich kompetenzgestützte) Vermutungen über den Konflikt und ihre Beteiligten. Mediatoren müssen das Ergebnis ihrer Konfliktanalyse/-diagnose, ihre vorläufigen Hypothesen in Form von Fragen zur Diskussion stellen, dadurch transparent machen und von den Konfliktparteien überprüfen lassen. Entscheidend ist nicht ein wie auch immer definierter Neutralitätsstandard, sondern die Sicherstellung der Autonomie der Parteien durch die größtmögliche Selbst-Kontrolle über ihren Konflikt. Ungeachtet des heftigsten Bemühens der Mediatoren, sind es letztlich immer die Parteien, die die Dienstleistung wahrnehmen, abnehmen, testen und beurteilen. Schon das leiseste Misstrauen der Parteien in die Allparteilichkeit der Mediatoren gefährdet deren Interventionsmöglichkeiten.

Wollen Mediatoren nicht in Gefahr geraten, ihre Allparteilichkeit und das damit zusammenhängende Vertrauen der Parteien aufs Spiel zu setzen, dürfen sie zu den Parteien nicht gleichzeitig in einem Beratungskontext stehen (insb. Vorbefassung). Hierbei macht es keinen Unterschied, ob dieser eher ökonomischer, psycho-sozialer oder rechtlicher Natur ist. Im Hinblick auf ein Mediationsverfahren ist die organisatorische wie personelle Trennung von (allparteilichen) Mediatoren einerseits und (parteilichen) Beratern bzw Entscheidern (zB über Inhalte von Stellungnahmen, Leistungen nach SGB VIII) andererseits unabdingbar. Eine Rollendiffusion, insbesondere die Aussicht, dass bei Scheitern der Mediation der vorgeblich „allparteiliche“ Vermittler ggf. dann doch einen Entscheidungsvorschlag unterbreitet, muss sich aus der Perspektive der Betroffenen destruierend auf das für die Vermittlung unverzichtbare Vertrauensverhältnis auswirken und ist schon deshalb im Hinblick § 2 Abs. 2 MediationsG unzulässig.

Zwar wird die Allparteilichkeit allenthalben als wesentliches Merkmal der Mediation und der Haltung der Mediatoren beschworen, allerdings lassen sich gerade insoweit in der Praxis erhebliche Probleme feststellen. Eine verbreitere Mediatorenkrankheit ist es, die „objektive Wahrheit“ zu suchen, zu ermitteln statt mit den (konstruierten) Geschichten der Parteien zu arbeiten, die eigene Sichtweise für objektiv zu halten und von eigenen Werten auszugehen, die in Einzelgesprächen erhaltene Informationen für den Lösungsprozess als unverzichtbar zu bewerten und sie selbst (anstatt durch die Medianden einbringen zu lassen) selektiv (nicht) weitergeben, sich in eigene (Lösungs-)Ideen zu verlieben und „offenkundige“ Lösungen vorzuschlagen statt die Verantwortung bei den Betroffenen zu belassen. Von hier ist es nicht weit zur Manipulation der Parteien, nicht selten, um hohe Einigungsquoten vorweisen zu können.

(Der Text ist teilweise entnommen aus Trenczek, T.: Aufgaben, Funktion und Kompetenzen von Mediatoren; in: Handbuch Mediation und Konfliktmanagement; Kap. 2.12, Baden-Baden 2013, S. 179 ff. (180 f.)